Seid laut, seid kreativ, benutzt euren eigenen Kopf, traut euch!
Moskau: In letzter Zeit hört man oft und sogar in den Massenmedien über die skandalöse Behandlung einiger Mitglieder der russischen feministischen Punkband PUSSY RIOT von seiten der russischen Regierung. Den Mädels
wurden bis zu 7-jährige Haftstrafen angedroht nur weil sie lediglich ein Punkgebet in einer moskauer Kirche gesungen haben. Am 17. August 2012 hat das Gericht ein Urteil gesprochen: 2 Jahre Knast! Doch wer sind diese Mädels? Aus welchem Hintergrund kommen sie? Ist PUSSY RIOT wirklich nur eine Punkband?
PUSSY RIOT wurde im August 2011 gegründet und besteht aus mehreren weiblichen Mitgliedern, die mit bunten Masken und immer unter Pseudonymen wie u.A. Schiemaske, Brühe, Terminator, Schumacher, Hut, Scheibe auftreten. Die Frauen tauschen öfters die Pseudonyme untereinander. Das und die Maskierung ist ein Konzept der Band, damit man sich nicht an konkreten Persönlichkeiten aufhält. Die Band hat keine festen Mitglieder. Jeder kann jede Zeit in die Band eintretten. Ursprünglich was es sogar so gedacht, dass jeder als PUSSY RIOT auftretten darf, unabhängig von offiziellen Mitgliedern. Doch im April hat die Band auf Anraten ihres Alwaltes den Namen rechtlich schützen lassen, damit niemand in deren Namen verwerfliche Aktionen treiben kann. Im Februar 2012 bestand die Band aus 10 unregelmäßig auftrettenden Musikerinnen und vielen Helfern.
Die Mitglieder kämpfen für die Rechte der Frauen und Homosexuellen und für die Gleichbehandlung verschiedener Geschlechter, propagieren die freie Gedankenbildung, Kreativität und Vorzug der einzelnen Persönlichkeit gegenüber dem Staat.
Jeden neuen Song stellt die Band entweder auf einer illegalen Tour oder einem illegalem Einzelauftritt vor. Das kann z.B. in der Metro, auf Busdächern, auf dem Dach des Untersuchungsgefängnises, auf dem Roten Platz oder in der Christ-Erlöser-Kathedrale sein. Laut dem Bandkonzept müssen die Auftrittsorte immer illegal sein. Die Auftritte werden gefilmt und auf youtube veröffentlicht.
Die Songs:
„Osvobodi Bruschatku“ (Befreie die Pflastersteine)
Der Song ist den russischen Parlamentwahlen am 4.12.2011 gewidtmet und wurde auf einer illegalen Tour auf Metrobahnhöfen und Busdächern präsentiert, um möglichst viele Leute zu erreichen und traditionelle Rolle zwischen Musikern und dem Publikum zu brechen. Der Song beinhaltet die Zeilen: „Ägyptische Luft ist gut für die Lungen / Mach aus dem Roten Platz den Tahrir-Platz / Verbringe einen wilden Tag unter starken Frauen / Such auf deinem Balkon ein Brecheisen, befreie die Pflastersteine“
„Kropotkin-Vodka“
Der Song ist ebenfalls den Dezemberwahlen gewidmet und wurde im november 2011 in Modeläden, Bars und anderen Treffpunkten der Reichen live gespielt.
„Smertj Tjurjmje, Svobodu Protestu“ (Tod dem Knast, Freiheit dem Wiederstand)
Der Song wurde am 14 Dezember 2011 live gespielt auf dem Dach der Untersuchungshaftanstalt, wo einige Demonstranten in Verwaltungshaft (eine Form von U-Haft in Russland, die höchstens 15 Tage dauert und nicht bei Schwangeren, Frauen mit Kindern bis 14 Jahren und Behinderten angewendet wird) saßen, nachdem sie an der Gegen-Wahlfälschung-Demo am 5.12.2012 teilgenommen hatten. Einige Songzeilen lauten: „Direkte Aktion ist die Zukunft der Menschheit / LGBT (Lesbian,Gay, Bisexual, Transgender), Feministinen, verteidige die Heimat / Tod dem Knast, Freiheit dem Wiederstand!). Die Musikerinnen zählen diesen Auftritt, neben dem Auftritt auf dem Roten Platz, zu ihrem besten.
„Bunt V Rossii – Putin Sassal“ (Revolte in Russland – Putin scheißt sich ein)
Am 20.1.2012 wurde der Song auf dem Lobnoje Mesto (Ort, wo man Köpfe abschlägt) am Roten Platz live gespielt. Bei dieser Aktion traten die meisten Musikerinnen auf. Es sind 8 Mädels auf das Denkmal raufgeklettert. Sie wurden dann festgenommen und zwei davon bekamen Strafen. Den Platz wählten die Mädels wegen der Nähe zum Kreml, dem Symbol der Macht, wegen der Tradition der Aktionen auf dem Roten Platz in den 1990ern und als Gedenken an die Aktion „Für Ihre und unsere Freiheit“ von 1968 als ebenfalls 8 Leute auf dieses Denkmal hinaufstiegen. Zu Diesem Song wurde die Band nach der Demo am 24.12.2012 inspiriert, an der 100.000 Menschen teilgenommen haben. An diesem Tag wurden um Moskau herum Truppen in Alarmbereitschaft gesetzt, was zeigt, dass die Regierung, deren Symbol Putin ist, an dem Tag sich eingeschissen hat.
„Bogorodiza, Putina Progoni!“ (Jungfrau Maria vertreibe Putin!)
Die Aktion vom 21.2.2012 in der Christ-Erlöser-Kathedrale, der Hauptkirche Moskaus, hat die Band als Punk-Gebet bezeichnet. Die Musikerinnen stürmten den Ambo (erhöhter Platz, wo der Priester steht), bekreuzigten sich auf den Knien ca. 20 s lang und den Rest der Zeit versuchten sie den Song zu spielen, bis sie von den Kirchenwächtern hinausbefördert wurden.
Bereits am 19.2.2012 hatten die Mädels versucht in einer anderen großen Kirche Moskaus den Song zu spielen. Doch dort wurden sie schon bevor sie richtig anfangen konnten aus der Kirche rausgeschmissen.
Der Song kritisiert die Verbindung der Kirche mit dem Geheimdienst und Putin: „Schwarze Kutte, goldene Epualetten“, „Der Kopf des KGB ist deren Hauptheiliger / Führt Demonstranten in die U-Haft“, „Patriarch Gundjaj (Patriarch Kyrill – der Hauptbischof der russisch-orthodoxen Kirche) galubt an Putin. Wäre besser, wenn dieses Arschloch an Gott glauben würde“.
Nach dieser Aktion wurden die Bandmitglieder wegen dem Rowdytums verfolgt. Am 3. März 2012 wurden zunächst Nadeschda Tolokonnikova und Maria Aljochina und am 16. März 2012 Jekaterina Samuzevitch verhaftet. Sie saßen seit dem in U-Haft. Seit dieser Zeit bekam die Band internationale Unterstützung und wurde durch Massenmedien weltweit bekannt. Am 30. Juli begann der Prozess. Am 17. August wurden die Mädels zu 2 Jahren Knast verurteilt.
Künstergruppe Voina (Krieg)
Die verhafteten Musikerinnen sind Mitglieder der Künstlergruppe Voina, welche 2007 u.A. von Nadeschda Tolokonnikova gegründet wurde. Sie machen konzeptionelle und oft sehr provokante Straßenaktionskunst. 2009 hat sich die Gruppe in eine „St. Petersburger“ und „Moskauer Fraktion“ gespalten.
Die Künstlergruppe besteht aus mindestens 60 Mitgliedern. Darunter Dichter, Künstler, Studenten, Sprach- und Literaturwissenschaftler und Journalisten. Die Gruppe hat keine festen Strukturen und Anführer. Alle Aktivisten sind gleichgesetzt.
Einige Aktionen:
„Mordowinische Stunde“
(Mordowinien ist eine Republik im europäischen Teil Russlands)
Die Aktion fand am 1. Mai 2007 statt und war die erste Aktion der Gruppe. Die Aktion war eigentlich ein Beitrag zur Initiative der moskauer Künstlergruppe Bombily (Bombardierer), welche ebenfalls Konzeptionskunst macht und an diesem Tag viele laute Straßenaktionen plante, um die Menschen auf die Straßenkunst als Alternative zur Galleriekunst aufmerksam zu machen. Außerdem sieht die Gruppe die konzeptionelle Starßenkunst als neue Form des politischen Widerstandes, welche effektiver ist als traditionelle Demos.
Die Aktivisten der Künstlergruppe führten ihre Aktion in einer Moskauer McDonalds-Filiale durch, wo sie die Arbeiter des Fastfood-Restaurants mit fliegenden Katzen beschenkten. Dabei stürmten sie McDonalds mit den Schreien „Freie Kasse!“ und bewarfen die Theke mit lebenden Straßenkatzen. Das sollte ein Geschenk für die unterbezahlten Sklavenarbeiter des Fastfoods sein, welche am Feiertag um den freien Tag beraubt wurden.
„Festmahl“ (auf russisch PIR)
In der Nacht zum 25.8.2007 veranstaltete die Künstlergruppe ein Festmahl zum Gedenken an den kürzlich verstorbenen befreundeten Dichter und Künstler D. Pirogov in einem Zug der moskauer Metro.
„Fick auf das Erbe vom Bärchen“
(Bärchen ist eine Anspielung auf Medwedjew: Medwedj = Bär)
Die Aktion fand am 29.2.2008 statt, kurz vor den Präsidentenwahlen in Russland, bei welchen Dmitrij Medwedjew der Hauptkandidat war. Sie wurde als eine Sexorgie im Saal des Stoff- und Energiewechsels der Organismen in Moskauer Staatlichen Bioligiemuseum ausgeführt. Dabei zogen sich fünf Paare aus und begannen vor den Wächtern und anderen Leuten Sex zu machen. Weitetere Mitglieder der Gruppe hielten einen Trafo mit der Aufschrift „Fick auf das Erbe vom Bärchen“ und filmten die Aktion. Unter den Sexualpaaren war auch die damals hochschwangere Nadeschda Tolokonnikova. Diese Aktion wurde von der Künstlergruppe als ein Portrait des Vorwahlrusslands bezeichnet: „Jeder fickt jeden, und das Bärchen schaut dabei angewidert zu!“
„Bulle im Priestergewand“
Am 3. Juli 2008 kam ein Mitglied der Künstlergruppe im Priestergewand, unter welchem er eine Bullenuniform anhatte, in einen moskauer Supermarkt in Begleitung von anderen Mitgliedern, welche die Aktion auf Foto und Video dokumentierten. In diesem Supermarkt füllte er demonstrativ fünf Tüten mit Lebensmitteln und ging damit ohne zu bezahlen durch die Kassen.
„Gedenken der Dekabristen“
(Dekabristen waren rebellische Offiziere, die am 26.12.1825 den Eid auf den neuen Zaren verweigerten als Protest gegen das autokratische Zarenregime, gegen Leibeigenschaft, Polizeiwillkür und Zensur. Ihre Anführer wurden gehängt.)
Die Aktion wurde am 7.9.2008 am moskauer Feiertag „Tag der Stadt“ durchgeführt als Geschenk für Jurij Luschkow, den damaligen Bürgermeister. Dabei wurden im großen Supermarkt (wie Real) in der Elektroabteilung fünf Leute an die Decke gehängt. Es sah aus, als ob sie erhängt wurden. Drei von ihnen waren ausländische Gastarbeiter aus Kirgisien und Usbekistan, welche für die Aktion bezahlt wurden. Die zwei anderen waren Homosexuelle, welche damit auf die permanente Verletzung ihrer Rechte hinweisen wollten.
„Überfall auf das Weiße Haus“
In der Nacht vom 6. zum 7. November zur Feier der Oktoberrevolution stürmte eine Brigade von 15 Voina-Aktivisten das Gelände des Weißen Hauses in Moskau und projezierte ein 12 Stockwerke großes Piratenzeichen auf das Weiße Haus. Anschließend kletterten alle Aktivisten an der anderen Seite über den Zaun und verschwanden, ohne erwischt zu werden.
„Schwanz in den Arsch!“ – ein Konzert im Gerichtsgebäude
Am 29. Mai 2009 machte die Künstlergruppe Voina eine Aktion während der Verhandlung in der Sache der beiden Kunstkuratoren Jerofejew und Samodurov, die wegen der Ausstellung mit dem Namen „Verbotene Kunst“ angeklagt wurden. In dieser Ausstellung wurden provokante Bilder gezeigt, u.A. von Jesus mit Mickeymousekopf und Madonna mit Kaviargesicht. Die Künstler brachten zum Gericht Gitarren, Schlagzeug und Verstärker mit und fingen plötzlich während der Verhandlung das Lied „Alle Bullen sind Arschlöcher, vergesst das nicht!“ zu spielen.
„Schwanz in Gefangenschaft beim FSB!“ (FSB ist das russische Geheimdienst)
Die Aktion fand in der Nacht zum 14 Juni 2010 zum Geburtstag von Che Guevara statt. Die Künstler malten mit Farbkanistern innerhalb von 23 Sekunden einen 65 x 27 m großen Phallus auf die Fahrbahn der Liteiny-Brücke, einer riesigen Zugbrücke in St. Petersburg, welche sich gegenüber dem FSB Gebäude befindet. Als die Brücke Nachts hochgezogen wurde, wurde das Bild aufgestellt.
Am 7. April 2011 hat der Maler des Bildes bei einem Kunstwettbewerb 400.000 Rubel (damals ca. 11.500 €) gewonnen, allerdings ist niemand gekommen, um das Geld abzuholen. Es wurde nur eine Stimmaufnahme übergeben, auf welcher hieß: „Hallo! Haben die Bullen die Arbeit etwa zu einer Ausstellung gegeben?“
„Kakerlakenverhandlung“
Am 12. Juli 2010 während der Urteilsverkündung bei der Verhandlung zur „Verbotenen Kunst“ haben einige Voina-Aktivisten etwa 3000 Schaben in Flur des Gerichtsgebäudes verstreut.
„Stürzug der Paläste“
Am 16. September 2010 drehte eine Gruppe der Voina-Aktivisten in St. Petersburg einige Miliz-Autos um.
„Küss den Bullen“
Die Aktion wurde im Januar und Februar 2011 durchgeführt. Dabei küssten Voina-Aktivistinnen Politessen in öffentlichen Verkehrsmitteln als eine Reaktion der Umbenennug der Miliz in Polizei und des damit ab 1. März 2011 in Kraft trettenden neuen Gesetzes „Über die Polizei“. Dabei stellten die Künstlerinnen fest, dass die Politessen nicht so über das Küssen an sich verärgert waren, sondern mehr über die Tatsache, dass sie von Frauen geküsst wurden.
„Straße – die Ernährerin“
Im August 2011 fürhte die Künstergruppe einige Aktionen auf den Straßen um Moskau herum durch. Dabei wurde auf die neuen Polizeigesetze reagiert, nach denen Polizisten die Möglichkeit genommen wurde Bestechungsgelder zu nehmen. Die Aktivisten bestanden darauf, den Straßenpolizisten zu helfen. Sie haben ihre Arbeit blockiert, haben teiweise selbst Autos angehalten und Menschen angebettelt, den armen Polizisten etwas zu essen zu geben. Dann haben sie auf den Polizeiautos Essen zubereitet, die Autos geschmückt und daneben gegrillt, gegessen und Vodka getrunken.
Am Ende will ich betonen, dass Nadeschda Tolokonnikova, Maria Aljochina und Jekaterina Samuzevitch bei weitem keine armen unschuldigen Punkerinnen und Mütter sind, denen jetzt eine unglaublich hohe Strafe für eine lächerliche Aktion droht. Sie sind mutige Frauen, die keine Angst haben laut ihre Meinung zu sagen und der Regierung der Stinkefinger zu zeigen; zwei von ihnen sogar trotz der Tatsache, dass sie Mütter sind.